Was ist Achtsamkeitstraining?

„Wozu braucht man Achtsamkeitstraining?? Achtsamkeit hat man oder hat man nicht!“ sagte ein Berater vor einigen Jahren zu mir, und ich meinte, einen leicht genervten Unterton zu bemerken. Ja, der Begriff wird mitunter schon inflationär eingesetzt. Und vielleicht dachte er bei „achtsam“ an „rücksichtsvolle“ Menschen und bei „unachtsam“ an solche, die eben keine Rücksicht nehmen. Was im Zusammenhang mit Achtsamkeitstraining genau mit Achtsamkeit gemeint ist, ist umgangssprachlich nicht so bekannt, und es braucht auch für viele Teilnehmende einige Zeit, um es für sich im eigenen Alltag und der Umsetzung einzuordnen.

Tatsächlich haben wir alle die Fähigkeit zur Achtsamkeit in uns verankert, nur der Zugriff auf diese kostbare Ressource ist nicht immer leicht greifbar. Wir haben den Schlüssel verlegt sozusagen. „Wir“ – weil es ganz vielen Menschen so geht. Je hektischer das Außen wird – und das ist bekanntlich ein Zeichen unserer Zeit und nicht erst seit heute – umso dichter wird’s auch in uns drin. Automatische Reaktionen und Handlungen setzen sich durch, die oft genug zu ungünstigen Ergebnissen führen. Bewusstes und konstruktives Handeln sowie Respekt und ganzheitliches, langfristiges und gesund kritisches Denken werden immer weniger. Das sind Folgen von Momenten, in denen wir vielleicht abgelenkt, uninteressiert oder emotional überlastet sind.

Achtsamkeit ist die Fähigkeit, im jeweiligen Augenblick wahrzunehmen, was wirklich ist, ohne dieses zu beurteilen: alles, was wir über unsere Sinne wahrnehmen können plus unsere eigenen Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse im jeweiligen Moment, als das was sie sind. Und das in einer offenen, nicht-wertenden inneren Haltung. Das ist ziemlich viel!

Achtsamkeit ist also einerseits ein wacher und ruhiger Geisteszustand und gleichzeitig eine besondere innere Haltung. Das klingt sehr nüchtern, vielleicht sogar unrealistisch nüchtern. Unrealistisch ist, dass wir das 24 Stunden am Stück erleben, aber mit Übung sicher mehrere Momente am Tag. Diese Momente bringen uns Klarheit und die Möglichkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen, unsere Bedürfnisse klar zu benennen und anderen konstruktiv zu sagen, was wir konkret brauchen oder ein klares Nein auszusprechen. So eröffnet sich uns eine weitaus größere Chance, unsere Bedürfnisse zu erfüllen als durch Herumreden, Jammern, Schimpfen, Schreien, Nörgeln, zynische Bemerkungen oder Rückzug.

Mit regelmäßiger Übung können wir mit der Zeit auch im etwas hektischeren Alltag innehalten, unsere Emotionen besser regulieren und zu dieser Klarheit kommen. Und diese Übung ist die Praxis der Achtsamkeit – Übung und Anwendung. Das Achtsamkeitstraining bietet einen Rahmen, um sich Übungen und die eigene Praxis aufzubauen, meist im Zusammenhang mit bestimmten Fragestellungen, die viele Menschen gut kennen.

Der Begriff des Achtsamkeitstrainings bezieht sich immer auf ein bestehendes, bewährtes Kursformat, wie z.B. MBSR (Stressbewältigung) und MBCT (Umgang mit Depressionen). Es gibt Inhalte, die Verständnis erzeugen für die Funktionen unseres Geistes, das Zusammenspiel von Gedanken, Gefühlen und körperlichen Empfindungen und deren Zusammenhänge mit dem jeweiligen Thema. Ein großer Anteil liegt bei formellen Achtsamkeitsübungen wie der Meditation und Yoga-Übungen, und ein wichtiger Bestandteil ist die bewertungsfreie Reflexion der Erfahrungen aus den Übungen. Die Kurse beruhen alle auf wissenschaftlicher Vorarbeit, die bereits Ende der 1970er begonnen hat (mit den ersten MBSR-Kursen) und später ausgeweitet wurde auf andere Zusammenhänge (Depression, Mitgefühl, Schule, Arbeitsplatz, Essen, Geburtsvorbereitung, etc.). Die Neurowissenschaft liefert seit über 20 Jahren Ergebnisse, die die Wirksamkeit des Achtsamkeitstrainings in unterschiedlichsten Bereichen umfangreich bestätigen. AchtsamkeitstrainerInnen sind in einem oder mehreren Formaten zertifiziert, pflegen selbst eine Form der Achtsamkeitspraxis und nützen regelmäßige Supervision.

Im Einzelsetting kann ich mit Ihnen am besten ganz konkret am Umlegen der Inhalte und Übungen auf Ihren persönlichen Alltag arbeiten.

Stress und Achtsamkeit

Die Übung der Achtsamkeit ermöglicht, Stressauslöser als solche wahrzunehmen und zu verstehen. Die eigenen Stressverstärker in Form von Bewertungen, eingefahrenen Sichtweisen etc. werden erkannt, und so kann langfristig der Umgang mit belastenden Situationen gestaltet werden.

Durch Meditation und vermehrt bewusste Beobachtungsfähigkeit auf Basis der inneren Haltung der Achtsamkeit sich selbst (und anderen) gegenüber kann langfristig innere Ruhe zunehmen: mit dem Beobachten von auslösenden Situationen und eigenen Stressverstärkern geht ein Innehalten einher, das bewusste Entscheidungen für eine angemessene Reaktion ermöglicht. Gelassenheit, die man tatsächlich mit Übung entwickeln kann, wird im Achtsamkeitstraining manchmal hinterfragt, ob es sich dabei um Distanziertheit, Gleichgültigkeit, über den Dingen stehen, Abgebrühtheit, Resignation handle. Gelassenheit durch Achtsamkeit ist am ehesten zu beschreiben mit Besonnenheit, Gleichmut, Stille, Geduld, Ausgeglichenheit, Ruhe und Zurückhaltung (von automatischen Reaktionen).

Die formale Praxis der Achtsamkeit beruht auf dem Nicht-Tun, d.h. nicht jedem spontanen Impuls nachgehen. Meditation bedeutet in die Stille kommen, indem man in Stille sitzt, meist mit verschlossenen Augen. Diese Form des Nicht-Tuns ist nicht gleichbedeutend mit Nichtstun. Meditation ist ein sehr wacher und aufmerksamer Zustand, der die Beobachtungsfähigkeit schult, die im Alltag unterstützt, präsent zu sein und bewusst agieren zu können. Die volle Aufmerksamkeit ist bewusst auf den Atem, Körperempfindungen, Gedanken  oder Gefühle gerichtet. Die regelmäßige Übung in Stille wird mit der Zeit zu einer Ressource, auf die man in Stresssituationen leichter zugreifen kann. Achtsamkeitstraining unterstützt auf diese Weise die Burnout-Prophylaxe.

MBSR – mindfulness-based stress reduction

Ende der 1970er-Jahre entwickelte der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn gemeinsam mit KollegInnen an der University of Massachusetts Medical School ein Programm, um Menschen zu unterstützen, die unter chronischen Schmerzen und Stress litten. Er konzentrierte sich in seiner Arbeit auf die Zusammenhänge von körperlichen Vorgängen und geistigen Aktivitäten. So kombinierte er Yogaübungen (Hatha Yoga) und Meditationspraktiken (Elemente aus Vipassana und Zen) mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit zu schulen, Achtsamkeit zu erlernen und in den Alltag stückweise zu integrieren. 1979 gründeten Jon Kabat-Zinn und Saki Santorelli die Stress Reduction Clinic und begannen, den achtwöchigen Kurs Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR, zu vermitteln. Parallel wurden Studien durchgeführt, um die Wirksamkeit von MBSR zu untersuchen. Das Programm erwies sich als effektiv und wird seit damals in beinahe unveränderter Form weltweit weitergegeben.

„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam sein, bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. …Ich persönlich verstehe Achtsamkeit als die Kunst, bewusst zu leben.“ (KABAT-ZINN, 2009).

Ursprünglich für SchmerzpatientInnen, die medikamentös austherapiert waren, entwickelt, fand das Programm sehr rasch Anwendung für viele TeilnehmerInnen, die aus den unterschiedlichsten Gründen an Stresssymptomen litten.

„Achtsamkeit ist ein wichtiges Prinzip und eine grundlegende Übung der Geistesschulung in östlichen, meist buddhistischen Meditationsansätzen. Wir finden aber auch in christlichen und anderen kontemplativen Wegen Elemente von Achtsamkeit und Achtsamkeitspraxis. Gleichzeitig ist Achtsamkeit eine allgemeine menschliche Fähigkeit und in diesem Sinne wird sie in MBSR gelehrt und geübt.

Bei der Schulung der Achtsamkeit geht es darum, diese menschliche Fähigkeit in uns zu stärken, sodass wir sie nicht nur in besonderen Momenten zufällig erleben, sondern immer häufiger im Leben zur Verfügung haben.

Achtsamkeit ermöglicht uns, wach und bewusst zu sein und zu erkennen, wo unsere Aufmerksamkeit in jedem Moment unseres Lebens gerade ist, und mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen, auch inmitten eines tobenden Sturms.

Die Haltung der Achtsamkeit hilft uns, weniger aus Vorurteilen und Ängsten heraus zu leben, sondern den Augenblick so wahrzunehmen, wie er gerade ist. Dadurch wächst in uns nach und nach eine innere Stärke, die es uns ermöglicht, auch mit schwierigen Situationen im Leben hilfreich umzugehen, was wiederum die Angst und das Stressniveau senkt“ (LEHRHAUPT und MEIBERT, 2010, 34).

Für das Achtsamkeitstraining ist vorausgehende Meditationserfahrung nicht notwendig. Die regelmäßige Durchführung der begleitenden Übungen zu Hause während des Programms ist allerdings essentiell für die Wirkung. Die Hauptübungen sind der Bodyscan, Yogaübungen, die Sitzmeditation und die Gehmeditation. Die Themen Achtsamkeit, Wahrnehmung, Bewertung, Stress, schwierige Gefühle, achtsame Kommunikation und Selbstmitgefühl werden im Laufe des Kurses durch kleine gedankliche Impulse, Bezug zu Ihrem persönlichen Alltag und Reflexion erarbeitet.

Das MBSR-Programm ist für alle Menschen geeignet, die mit Stress anders umgehen wollen – sei es aufgrund von Krankheit/Schmerzen, Dauerbelastungen durch Familiensituation, Arbeitsplatz, nicht Nein sagen können etc. Notwendig sind Bereitschaft und Offenheit, sich auf sich selbst einzulassen und psychische Gesundheit.

Nicht geeignet ist dieses Programm für Menschen mit akuter Depression / Essstörung / Sucht / Psychose, Angststörung – v.a. wenn es außerhalb einer Klinik durchgeführt wird -, im akuten Burnout, bei akuter Trauer. Meditation kann sehr starke Gefühle hervorbringen, bestehende Ängste verstärken, Neigungen zu Depression etc. verschärfen, was eine klare Abgrenzung zur Psychotherapie oder anderen jeweils adäquateren Prozessen und ein sorgsames Vorgespräch unabdingbar macht.

MBSR – Wirkung und Wissenschaft

Die Wirksamkeit des MBSR-Programms wurde von Anfang an durch Studien sichtbar gemacht (KABAT-ZINN 1982; KABAT-ZINN, LIPWORTH & BARNEY, 1985, 1987; KABAT-ZINN, MASSION, KRISTELLER & PETERSON, 1992; MILLER, FLETCHER, KABAT-ZINN, 1995; MAJUMDAR, GROSSMANN, DIETZ-WASCHKOWSKI, KERSIG & WALACH, 2002; DAVIDSON et al, 2003).

Eine Meta-Analyse (GROSSMANN et al, 2004), die 64 Studien miteinbezog, von denen 20 die vordefinierten Kriterien erfüllten, kam zu folgendem Schluss: „Obwohl aus einer relativ geringen Anzahl von Studien bezogen, weisen die Ergebnisse darauf hin, dass MBSR einer großen Vielfalt an Menschen helfen kann, mit ihren klinischen und nicht-klinischen Problemen umzugehen“ (GROSSMANN et al, 2004, 35).

Die Diagnosen, auf die die berücksichtigten Studien fokussierten, umfassten zum Beispiel: Fibromyalgie, verschiedene Krebsdiagnosen, Herzkreislauferkrankungen, Depression, chronische Schmerzen, Angst, Adipositas und Binge Eating Störung und psychiatrische Patienten. Zwei Studien bezogen sich auf Gefängnisinsassen und drei Studien beschäftigten sich mit nicht-klinischen KlientInnen, die ihren Stress besser bewältigen wollten (vgl. GROSSMANN et al, 2004, 38f).

MBSR zeigt auch bei Migräne Wirkung, ein Krankheitsbild, das häufig mit Stress verbunden ist. Eine Pilotstudie von Kathrin Simshäuser im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Universität Freiburg ergab, dass TeilnehmerInnen bei 12 von 13 der abgefragten Aspekte in Bezug auf Migräne mehr profitierten, wenn sie am MBSR-Programm beteiligt waren als am parallel laufenden Entspannungskurs (vgl. SCHMIDT, 2012).

Positive Wirkung eines Stressreduktionsprogramms durch Achtsamkeitsmeditation bei Brasilianischem Pflegepersonal

Beispielhaft für die Wirkung auf das Berufsleben zeigt eine Studie, durchgeführt im Jahr 2016 im Krankenhaus São Paulo (Brasilien) mit 13 Pflegepersonen, folgende Ergebnisse:

  • Signifikante Reduktion zwischen Vorher-/Nachher-Werten für die Empfindung von Stress, Burnout, Depression und Angst
  • Keine signifikanten Unterschiede zwischen Nachher-Werten und Follow-up
  • Verbesserung der Reaktionsfähigkeit bei inneren Erfahrungen
  • Bewusstere Wahrnehmung innerer und äußerer Erfahrungen
  • Größere Aufmerksamkeit und Bewusstheit für eigene Handlungen und Haltungen in jedem Moment
  • Positiver Einfluss des Programms auf Pflegetätigkeiten

Quelle: Dos Santos TM, Kozasa EH, Carmagnani IS, Tanaka LH, Lacerda SS, Nogueira-Martins LA http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26778081

MBCT – Der achtsame Weg aus der Depression – Achtsamkeit für emotionale Stabilität

Welche Wirkung Achtsamkeitstraining haben kann, zeigt auch das MBCT Programm (mindfulness-based cognitive therapy), das aufbauend auf MBSR von John Teasdale und Mark Williams entwickelt wurde. MBCT begleitet Menschen, die bereits mehrere depressive Episoden hatten und verringert bei vielen Patienten das Rückfallrisiko. Die Teilnehmenden eines MBCT-Programms sind nicht akut depressiv. Die Wirksamkeit wurde u.a. durch diese Studie mit 145 PatientInnen belegt: „Bei PatientInnen mit 3 oder mehr vorangegangenen Depressionsepisoden (77% der StudienteilnehmerInnen), reduzierte MBCT das Rückfallrisiko signifikant“ (TEASDALE et al, 2000, 615).

Selbständige Erwerbstätigkeit neben der Familie (inklusive Kindergarten / Schule,  Freizeitaktivitäten, Krankheiten, Arztbesuche etc.), dem Haushalt, mit einem gewissen Druck aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen (erfolgreich sein müssen, immer freundlich und kompetent, das Image des jeweiligen Berufs, Rollenbilder etc.), vielleicht auch noch ein zu pflegender Elternteil verursachen höchstwahrscheinlich ein gewisses Ausmaß an grundlegendem Stress, der langfristig in Überforderung münden und auch zu Erschöpfung und Depression führen kann. Dass Frauen stärker gefährdet sind, an Burnout, Angststörungen oder Depressionen zu erkranken, ist inzwischen belegt.

Das muss aber nicht sein. Eine gesunde, selbstbestimmte und bewusst gestaltete Balance zwischen einem erfüllenden Beruf und einem ebenso erfüllenden Privat- und Familienleben beginnt bei der Sorge um die eigene geistige und körperliche Ausgeglichenheit. Ja klar! werden Sie denken, und wann soll ich das auch noch machen? Genau daran können wir gemeinsam arbeiten. Melden Sie sich für ein Erstgespräch, um zu klären, wie ich Sie mit diesem oder einem anderen Programm unterstützen kann.

Das MBCT-Programm ist ebenso geeignet für Menschen, die sich mehr emotionale Stabilität wünschen und ihre Motivation, ihren Antrieb und ihre Lebensfreude re-aktivieren wollen. Wenn Sie Stimmungsschwankungen kennen, wiederkehrende abwärtsführende Gedankenspiralen, häufige Kommentare der inneren Kritikerin, Kraftlosigkeit, eigene Verhaltensweisen (von denen sie selbst wissen, dass sie nicht günstig sind) oder „Aufschieberitis“, was auch für Selbstständige mit mehreren anderen Verpflichtungen nicht förderlich ist, finden wir in diesem Programm hilfreiche gedankliche Impulse und eine große Auswahl an Übungen für Ihren Alltag, die sie wieder in ihre freudvolle Aktivität bringen können.

Achtsamkeitstrainings zu weiteren Schwerpunktthemen,

die Sie auch bei mir machen können:

 

Mindful Leadership – Achtsamkeit in der Führungsarbeit

MSC – Mindful Self-Compassion – Achtsames Selbstmitgefühl

Mindful 2 Work – Achtsamkeit am Arbeitsplatz

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